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Wieder drückte Schofield den Auslöseschalter auf der Tri-lonalladung - zwanzig Sekunden - und feuerte.
Der Maghook schoss
durch das Wasser...
... hing eine lange Zeit dort...
... und verschwand daraufhin im Torpedoport.
Ja!
Schofield drückte rasch den Knopf auf seinem Griff, der mit ›M‹ markiert war und der Magnetkopf am Maghook innerhalb des Torpedoports reagierte sogleich, indem er die silbriggrüne Tritonalladung losließ.
Daraufhin holte Schofield den Maghook ein und ließ die Tritonalladung innerhalb des Torpedokanals zurück.
Und dann schwamm Schofield los.
Schwamm wie der Teufel.
Im Torpedoraum des französischen Unterseeboots herrschte tödliches Schweigen. Ein junger Soldat zählte den Countdown. »Vingt secondes de premier lancer«, sagte er. Zwanzig Sekunden bis zum ersten Abschuss. Zwanzig Sekunden bis zum Abschuss des »Radiergummis«, eines Torpedos mit Atomsprengkopf der Neptun-Klasse. »Dix-neuf... dixhuit... dix-sept...«
Vom Eisberg aus sah Renshaw, wie Schofield die Oberfläche durchbrach, sah ihn verzweifelt durch das Wasser schwimmen, den Maghook in der Hand.
Der französische Soldat zählte weiter. »Dix... neuf... huit... sept...«
Schofield schwamm wie besessen, versuchte, so viel Distanz zwischen sich und das Unterseeboot zu legen, wie er konnte, denn falls er bei der Explosion der Tritonalladung zu nahe wäre, würde ihn die Implosion schnurstracks einsaugen. Er war zehn Meter entfernt gewesen, als er die Tritonalladung abgefeuert hatte. Jetzt war er zwanzig Meter entfernt. Er dachte, dass fünfundzwanzig Meter wohl ausreichen würden. Renshaw schrie ihm zu: »Was zum Teufel geht da vor?«
»Verschwinden Sie vom Rand!«, schrie Schofield beim Schwimmen. »Machen Sie schon!«
»Cinq... quatre... trois...«
Der französische Soldat kam beim Countdown nicht über ›drei‹ hinaus.
Denn in diesem Augenblick - in diesem entsetzlichen, niederschmetternden Augenblick - flog die Tritonalladung im Torpedorohr jäh in die Luft.
Von dort aus, wo Renshaw stand, war die Explosion unter Wasser absolut spektakulär, und das um so mehr, da sie unerwartet kam.
Sie erfolgte augenblicklich. Der dunkle Schatten unter der Oberfläche, das französische Unterseeboot, wurde urplötzlich zu einer gewaltigen weißen Wolke. Eine mächtige Fontäne von fünfzehn Meter Höhe und sechzig Meter Länge schoss aus dem Wasser und fiel langsam zurück.
Aus Höhe des Wasserspiegels sah Schofield plötzlich einen Schwärm monströser blauer Blasen aus einem klaffenden Loch am Bug des Unterseeboots quellen, wie Tentakel, die nach ihm griffen. Und dann zogen sie sich ebenso rasch wieder zurück, und mit entsetzlicher Gewalt schössen die Blasen auf das Unterseeboot zu und Schofield spürte, wie er jäh wieder zum Unterseeboot hingezogen wurde.
Implosion.
In diesem Moment brach das massige französische Unterseeboot wie eine prächtige große Aluminiumdose in sich zusammen und die Sogwirkung der Implosion flaute ab. Schofield spürte, wie der Griff des Wassers sich lockerte, und er ließ sich zur Oberfläche treiben. Das Unterseeboot war verschwunden.
Wenige Minuten später zog Renshaw Schofield aus dem Wasser und zerrte ihn auf den Eisberg.
Schofield ließ sich auf das Eis fallen - schwer atmend, triefend nass, vor Kälte erstarrt. Er rang keuchend nach Atem und sein Körper wurde von einer solchen Erschöpfung überwältigt, dass Schofield in diesem Augenblick - das französische Unterseeboot vernichtet, und er und Renshaw hoffnungslos verlassen auf einem Eisberg - eigentlich nichts weiter wollte, als sich hinlegen und schlafen.
Im Gebäude des Capitols in Washington, D.C., trat die NATO-Konferenz wieder zusammen.
George Holmes, der Repräsentant der USA, lehnte sich in seinem Sessel zurück, als er Pierre Dufresne, dem Leiter der französischen Delegation, zusah, wie sich dieser zum Reden erhob.
»Liebe Kollegen, meine Damen und Herren«, begann Dufresne, »die Republik Frankreich möchte gern ihre völlige und bedingungslose Unterstützung des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses zum Ausdruck Abringen, dieser wunderbaren Organisation von Staaten, die dem Westen seit fast fünfzig Jahren so gut gedient hat...«
Die Rede zog sich weiter dahin, pries die Tugenden der NATO sowie die unvergängliche Loyalität Frankreichs ihr gegenüber. George Holmes schüttelte den Kopf. Den ganzen Morgen über hatte die französische Delegation immer wieder Unterbrechungen gefordert, die Konferenz hingehalten, und jetzt, wie aus heiterem Himmel, versicherten sie ihre unerschütterliche Loyalität der Organisation gegenüber. Es ergab überhaupt keinen Sinn.
Dufresne beendete seine Rede und setzte sich. Holmes wollte sich schon umwenden und etwas zu Phil Munro sagen, da schob der britische Delegierte der Konferenz - ein tadellos frisierter Staatsmann namens Richard Royce - seinen Sessel zurück und erhob sich.
»Meine Damen und Herren«, sagte Royce in einem sehr artikulierten Londoner Akzent, »wenn ich um Ihre Nachsicht ersuchen darf: die britische Delegation ersucht um eine Unterbrechung.«
Genau im gleichen Augenblick, direkt auf der anderen Straßenseite des Kongressgebäudes und der NATO-Konferenz, betrat Alison Cameron das Atrium der Library of Congress, der Kongressbibliothek.
Bestehend aus drei Gebäuden ist die Kongressbibliothek die größte Bibliothek der Welt. Eigentlich war das Ziel ihrer Gründung gewesen, der größte Verwahrungsort für das Wissen der Welt zu sein. Und genau das ist sie.
Weswegen Alison nicht überrascht war zu erfahren, dass das Objekt ihrer Suche - das mysteriöse »Preliminary Survey« von C.M. Waitzkin aus dem Jahre 1978 - in der Kongressbibliothek zu finden war. Wenn irgendeine Bibliothek sie hätte, dann war es die Kongressbibliothek.
Alison wartete am Informationsschalter, während eine der Bibliotheksangestellten ins Magazin hinabging, um für sie zu suchen. Die Magazine der Kongressbibliothek waren nicht frei zugänglich, was bedeutete, dass die Angestellten die Bücher für einen holten. Sie war außerdem keine Leihbibliothek, was bedeutete, dass man die Bücher nicht mit aus dem Gebäude nehmen durfte.
Die Angestellte benötigte eine Weile, also machte sich Alison daran, das Buch durchzusehen, das sie auf dem Weg zur Bibliothek erworben hatte.
Sie sah auf den Einband. Darauf stand:
THE IGE CRUSADE:
REFLECTIONS ON A YEAR SPENT IN ANTARCTICA
DR. BRIAN HENSLEIGH
Professor of Geophysics, Harvard University
Alison las die Einführung quer.
Brian Hensleigh war anscheinend Leiter der geophysikalischen Fakultät der Harvard University. Er war mit Untersuchungen von Eiskernen beschäftigt - eine Arbeit, die erforderlich machte, zylindrische Eiskerne aus dem kontinentalen Schelfeis in der Antarktis herauszuholen und daraufhin die Luft zu untersuchen, die vor lausenden von Jahren in diesen Eiskernen gefangen worden war.
Offensichtlich, so sagte das Buch, konnte die Erforschung von Eiskernen zur Erklärung der globalen Erwärmung, des Treibhauseffekts und des Schwunds der Ozonschicht wesentlich beitragen.
Wie dem auch sei, es schien, als ob dieser Hensleigh das ganze Jahr 1994 in einer abgelegenen Eisstation in der Antarktis gearbeitet und Eiskernproben gesammelt hätte.
Der Name dieser Forschungsstation lautete Eisstation Wilkes.
Und deren Lage: Breite minus 66,5 Grad, Länge 115 Grad, 20 Minuten und 12 Sekunden östlich.
In diesem Augenblick kehrte die Angestellte zurück und Alison blickte von ihrem Buch auf.
»Es ist nicht vorhanden«, sagte die Angestellte kopfschüttelnd.
»Was?«
»Ich hab's dreimal überprüft«, meinte die Angestellte. »Es ist nicht im Regal. ›Preliminary Survey‹ von C.M. Waitzkin, 1978. Es ist nicht da.«
Alison runzelte die Stirn. Das hatte sie nicht erwartet.
Die Angestellte - ihr Namensschildchen sagte, dass sie Cindy hieß - zuckte hilflos die Achseln. »Ich versteh's nicht. Es ist einfach... verschwunden.«
Alison verspürte eine jähe Woge der Erregung, als ihr etwas einfiel.
»Wenn es nicht dort ist, würde das nicht bedeuten, dass es jemand gerade jetzt liest?«, fragte sie.
Cindy schüttelte den Kopf. »Nein, der Computer sagt, dass es zum letzten Mal im November 1979 an jemanden ausgeliehen worden ist.«
»November 1979«, wiederholte Alison.
»Ja, unheimlich, nicht wahr?« Cindy wirkte etwa wie zwanzig, zweifelsohne eine Collegestudentin. »Ich habe mir den Namen des Ausleihers notiert, wenn es Sie interessiert. Hier«, sie reichte Alison ein Papier.
Es war die Fotokopie eines Antragsformulars, ähnlich dem, das Alison selbst ausgefüllt hatte, um das Buch zu erhalten. Die Kongressbibliothek bewahrte offensichtlich jedes Antragsformular auf - vielleicht für genau diese Situation. Auf dem Formular, über »Name des Ausleihers«, stand ein Name:
O. NIEMEYER.
»Kommt vor«, sagte die Angestellte Cindy. »Diesem Niemeyer hat es vielleicht so gut gefallen, dass er einfach damit davon spaziert ist. Damals hatten wir noch keine Magnetsicherungen, also ist er vielleicht an den Aufpassern vorbeigeschlüpft.«
Alison beachtete sie gar nicht.
Sie stand einfach da, bezaubert von dem Antragsformular in ihrer Hand, von diesem zwanzig Jahre alten Beweisstück, das irgendwo in den Tiefen der Kongressbibliothek in einem Archiv gehockt und auf diesen Tag gewartet hatte.
Alisons Augen glühten, als sie die Worte anstarrte: O. NIEMEYER.
Brigadier-General Trevor Barnaby Umschrift das Tümpeldeck der Eisstation Wilkes. Er hatte die Eisstation Wilkes jetzt etwas länger als eine Stunde unter Kontrolle und fühlte sich ziemlich zuversichtlich.
Vor nur zwanzig Minuten hatte er ein Team bewaffneter Taucher in der Taucherglocke der Station hinabgeschickt. Aber es würde noch wenigstens neunzig Minuten dauern, ehe sie die Untergrundhöhle erreichten. In der Tat glitt das Kabel der Taucherglocke gerade im Augenblick noch immer in den Tümpel an der Basis der Station.
Barnaby selbst trug einen schwarzen Kälteschutzanzug. Er beabsichtigte, mit dem zweiten Team zur Untergrundhöhle hinabzutauchen - um mit eigenen Augen zu sehen, was sich wirklich dort unten befand.
»Ei, ei«, sagte Barnaby beim Anblick von Snake und der beiden französischen Wissenschaftler, die mit Handschellen an den Pfahl gefesselt waren. »Was haben wir denn hier? Nun, wenn das nicht Sergeant Kaplan ist!« Dem Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu schließen war Snake offensichtlich davon überrascht, dass Barnaby wusste, wer er war.
»Gunnery Sergeant Scott Michael Kaplan«, sagte Barnaby. »Geboren: Dallas, 1953; eingetreten in das United States Marine Corps im Alter von achtzehn, 1971; Experte in Handfeuerwaffen; Experte im Nahkampf; Scharfschütze. Und seit 1992 vom britischen Geheimdienst unter Verdacht, Mitglied der amerikanischen Spionageorganisation zu sein, die als die Intelligence Convergence Group bekannt ist.
Äh, entschuldige, wie nennen sie dich doch gleich? Snake, nicht wahr? Sag mir, Snake, passiert dir das eigentlich häufig? Kettet dich dein kommandierender Offizier häufig an Pfähle und überlässt dich der Gnade des eindringenden Feindes?«
Snake sagte kein Wort.
»Ich hätte eigentlich nicht gedacht«, meinte Barnaby, »dass Shane Schofield zu der Sorte von Befehlshabern zählte, die ihre loyalen Truppenmitglieder anketten würden. Was bedeutet, es muss einen anderen Grund geben, weswegen er dich angekettet hat, n'est-ce pas?« Barnaby lächelte. »Nun, was könnte das für ein Grund sein?«
Snake sagte noch immer kein Wort. Hin und wieder warf er einen verstohlenen Blick auf das Kabel der Taucherglocke, das hinter Barnaby in den Tümpel glitt.
Barnaby wandte seine Aufmerksamkeit den beiden französischen Wissenschaftlern zu. »Und wer könntet ihr sein?«, fragte er.
Entrüstet brach es aus Luc Champion hervor: »Wir sind französische Wissenschaftler von der Forschungsstation Dumont d'Urville. Wir sind gegen unseren Willen hier von amerikanischen Streitkräften festgehalten worden. Wir verlangen, dass wir freigelassen werden, in Übereinstimmung mit internationalem...«
»Mr. Nero«, sagte Barnaby ausdruckslos.
Ein Berg von Mann trat hinter Barnaby hervor und stellte sich neben ihn. Er war wenigstens zwei Meter zehn groß, hatte breite Schultern und einen teilnahmslosen Blick. Eine Narbe verlief ihm vom Mundwinkel bis zum Kinn.
Barnaby sagte: »Mr. Nero, seien Sie so gut.«
In diesem Augenblick hob der große Mann namens Nero seine Pistole und schoss aus nächster Nähe auf Champion.
Champions Kopf explodierte. Sogleich spritzten Blut und Gehirnmasse gegen die Seite von Snakes Gesicht.
Henri Rae, der zweite französische Wissenschaftler, begann zu wimmern.
Barnaby wandte sich ihm zu. »Sind Sie auch Franzose?«
Rae begann zu schluchzen.
Barnaby sagte: »Mr. Nero.«
Rae sah es kommen und kreischte: »Nein!«, als Nero erneut seine Waffe hob, und einen Augenblick später war die andere Seite von Snakes Gesicht ganz und gar mit Blut bespritzt.
In der pechschwarzen Dunkelheit an der Basis des Aufzugsschachts fuhr Mother beim Geräusch der Pistolenschüsse auf.
Verdammt, dachte sie.
Sie musste wieder weggetreten sein. muss wach
bleiben, dachte sie.
muss wach bleiben...
Mother starrte den durchscheinenden Kunststoffbeutel an, den sie mitgebracht hatte. Er war über einen Schlauch mit einer Infusionsspritze verbunden, die ihr im Arm steckte.
Der Kunststoffbeutel war jetzt leer.
War es die letzten zwanzig Minuten über gewesen.
Mother begann zu zittern. Ihr war kalt und sie fühlte sich schwach. Ihr fielen die Augenlider herab.
Sie biss sich auf die Zunge und versuchte, durch den heftigen Schmerz die Augen gewaltsam offen zu halten.
Die ersten paar Male funktionierte es. Und dann nicht mehr. Allein an der Basis des Aufzugsschachts verlor Mother erneut das Bewusstsein.
Draußen auf Deck E trat Trevor Barnaby vor und kniff die Augen zusammen. »Sergeant Kaplan. Snake. Du bist ein böser Junge gewesen, nicht wahr?«
Snake sagte nichts.
»Bist du ICG, Snake? Ein Überläufer? Was hast du getan, hast du deine Tarnung zu früh aufgedeckt, hast angefangen, deine eigenen Männer umzubringen, ehe du die Gewissheit hattest, dass diese Station euch sicher war? Ich wette, Scarecrow war nicht allzu erfreut, als er es herausgefunden hat. Hat er dich deswegen an den Pfahl gekettet und dich für mich hier zurückgelassen?«
Snake schluckte.
Barnaby starrte ihn kalt an. »Das hätte ich wenigstens getan.«
In diesem Augenblick trat ein junger SAS-Corporal hinter Barnaby. »Sir.«
»Ja, Corporal?«
»Sir, die Ladungen um die Station sind gelegt.«
»Wie weit entfernt?«
»Fünfhundert Meter, Sir. In einem Bogen, wie Sie befohlen haben.«
»Gut«, sagte Barnaby. Bald nach seiner Ankunft auf Wilkes hatte Barnaby befohlen, dass achtzehn Tritonalladungen in einem Halbkreis auf der landeinwärts gerichteten Seite der Station gelegt werden sollten. Sie sollten einem speziellen Zweck dienen. Seinem sehr speziellen Zweck.
»Corporal«, fragte Barnaby, »wie lange wird es Ihrer Einschätzung nach dauern, die Ladungen anzubringen?«
»Unter Berücksichtigung der Bohrungen, Sir, würde ich sagen, noch eine weitere Stunde.«
»Schön«, erwiderte Barnaby. »Wenn sie alle gelegt sind, bringen Sie mir den Zünder.«
»Jawohl, Sir«, sagte der Corporal. »Oh, und Sir, da ist noch etwas.«
»Ja?«
»Sir, die Gefangenen, die von dem amerikanischen Hovercraft herabgefallen sind, sind gerade eingetroffen. Was sollen wir mit ihnen anfangen?«
Barnaby war bereits über Funk von dem Soldaten und dem jungen Mädchen berichtet worden, die von einem der amerikanischen Hovercrafts herabgefallen und von seinen Männern aufgesammelt worden waren.
»Bringt das Mädchen in sein Quartier. Haltet es dort fest«, sagte Barnaby. »Bringt den Marine zu mir.«
Libby Gant stand allein in einer dunklen Ecke der Untergrundhöhle. Der Strahl ihrer Taschenlampe erleuchtete einen kleinen horizontalen Spalt in der Eismauer.
Der Spalt war auf der Ebene des Grunds, an der Stelle, wo die Mauer auf den Boden traf. Er war etwa einen halben Meter hoch und erstreckte sich waagrecht etwa zwei Meter.
Gant ging auf Hände und Knie und spähte in den horizontalen Spalt hinein. Sie sah nichts außer Dunkelheit. Da drin schien jedoch leerer Raum zu sein...
»Hee!«
Gant wandte sich um.
Sie sah Sarah Hensleigh unter dem Raumschiff am anderen Ende der Höhle stehen, drüben beim Wasser, und mit den Armen winken.
»Hee!«, rief Hensleigh aufgeregt. »Kommen Sie rüber, und werfen Sie mal einen Blick hier drauf!«
Gant ging zu dem großen schwarzen Raumschiff hinüber. Montana war bereits dort, als sie ankam. Santa Cruz stand drüben beim Wasser Wache.
»Was halten Sie davon?« Hensleigh zeigte auf etwas an der Unterseite des Schiffs.
Gant sah es und runzelte die Stirn. Es sah aus wie irgendeine Art von Tastenfeld.
Zwölf Knöpfe, in drei Kolonnen arrangiert, vier Knöpfe pro Kolonne, und obenauf etwas, das aussah wie ein rechteckiges Display.
Aber an diesem »Tastenfeld« war irgendetwas sehr merkwürdig.
Auf keiner der Tasten war ein Zeichen.
Wie das übrige Schiff war das Tastenfeld absolut und völlig schwarz - schwarze Knöpfe auf einem schwarzen Untergrund.
Und dann sah Gant, dass es einen Knopf mit einer Markierung darauf gab. Auf dem zweiten Knopf in der mittleren Reihe befand sich ein kleiner roter Kreis.
»Wofür halten Sie das?«, fragte Montana.
»Wer weiß«, erwiderte Hensleigh.
»Es könnte dazu dienen, das Raumschiff zu öffnen«, schlug Gant vor.
Hensleigh schnaubte. »Unwahrscheinlich. Kennen Sie irgendwelche Aliens, die Tastenfelder benutzen?«
»Ich kenne überhaupt keine Aliens«, sagte Gant. »Sie etwa?« Hensleigh ignorierte sie. »Man kann unmöglich sagen, was es ist«, meinte sie. »Es könnte ein Zündschlüssel sein, oder ein Waffensystem...«
»Oder ein Selbstzerstörungsmechanismus«, sagte Gant trocken. »Ich schlage vor, wir drücken einfach drauf und finden's heraus«, meinte Hensleigh.
»Aber welchen Knopf drücken wir?«, fragte Montana.
»Den mit dem Kreis drauf, vermute ich.«
Montana schürzte nachdenklich die Lippen. Er war der Rangälteste hier unten. Es war seine Entscheidung. Er sah zu Gant hinüber.
Gant schüttelte den Kopf. »Wir sind nicht hier, um nachzusehen, was es tut. Wir sind einfach bloß hier, es zu bewachen, bis die Kavallerie eintrifft.«
Montana sah zu Santa Cruz, der vom Wasser herübergekommen war, um sich die Sache anzusehen.
»Drückt ihn«, meinte Cruz. Wenn ich mir für dieses verdammte Ding den Schädel einschlagen lassen soll, möchte ich sehen, was drin ist.«
Montana wandte sich wieder Sarah Hensleigh zu. Sie nickte.
»Sehen wir mal, was es tut.«
Schließlich sagte Montana: »Okay. Drücken Sie drauf!«
Sarah Hensleigh nickte und holte tief Luft. Dann streckte sie die Hand aus und drückte auf den Knopf mit dem roten Kreis.
Zunächst geschah gar nichts.
Sarah Hensleigh hob den Finger vom Tastenfeld und blickte zu dem Raumschiff über ihr auf, als ob sie erwartete, dass es abheben würde oder etwas dergleichen.
Plötzlich ertönte ein leiser harmonischer Klang und das Display oberhalb des Tastenfelds glühte auf.
Und dann, eine Sekunde später, erschien eine Folge von Zeichen auf dem Display.
»O Scheiße«, sagte Montana.
»Was zum...«, meinte Hensleigh.
Es war die Aufforderung, den Zugangskode einzugeben. Auf dem Display stand:
24157817
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
ENTER AUTHORIZED ENTRY CODE
»Zahlen?«, fragte Montana.
»Englisch?«, fragte Sarah Hensleigh. »Was zum Teufel ist das für ein Ding?«
Gant ihrerseits schüttelte bloß den Kopf. Und als sie vom »Raumschiff« wegging, begann sie leise zu lachen.
Schofield und Renshaw lagen mit dem Rücken auf der kalten, harten Oberfläche des Eisbergs und lauschten auf das rhythmische Schlagen der Wellen gegen die Eisklippen in zweihundert Metern Entfernung.
Sie lagen einfach eine Weile lang dort, um wieder zu Atem zu kommen.
Nach ein paar Minuten suchte Schofield mit der Hand an seiner Taille, bis er dort einen kleinen schwarzen Apparat fand. Er drückte einen Knopf. Biep!
»Was tun Sie da?«, fragte Renshaw, ohne aufzublicken. »Schalte mein GPS ein«, erwiderte Schofield noch immer auf dem Rücken. »Es ist ein Satelliten-Ortungssystem und benutzt das Navistar Global Positioning System. Jeder Marine hat eines, zum Gebrauch in Notfällen. Wissen Sie, dann können die Leute uns finden, wenn wir auf einem kleinen Floß mitten im Ozean enden. Ich habe mir gedacht, unsere augenblickliche Lage unterscheidet sich nicht so wesentlich davon.« Schofield seufzte. »Irgendwo ist gerade ein rotes Blitzlicht auf jemandes Bildschirm in einem abgedunkelten Raum eines Schiffes erschienen.« »Bedeutet das, sie suchen nach uns?« fragte Renshaw.
»Bis jemand hier auftaucht, sind wir schon längst tot. Aber sie werden zumindest in der Lage sein, unsere Leichen zu finden.«
»Oh, großartig«, meinte Renshaw. »Schön, meine Steuergroschen bei der Arbeit zu sehen. Ihr Kerle baut ein Satelliten-Ortungssystem, so dass sie meine Leiche finden können. Wow!«
Schofield wandte sich Renshaw zu. »Wenigstens kann ich eine Notiz an unseren Leichen hinterlassen, die demjenigen, der uns findet, mitteilt, was in der Station geschehen ist. Zumindest dann werden sie die Wahrheit wissen. Über die Franzosen, über Barnaby.«
»Nun«, sagte Renshaw, »da fühle ich mich doch gleich viel besser.«
Schofield stützte sich auf den Ellbogen und sah zu den Klippen hinüber. Er sah die berghohen Wellen des Südpolarmeers dagegen klatschen und spektakulär zu weißer Gischt explodieren.
Dann, zum erstenmal, sah Schofield sich den Eisberg um sich herum genauer an.
Er war groß. Er war tatsächlich so groß, dass er in der schweren See nicht einmal schaukelte. Über der Oberfläche musste das ganze Dinge wenigstens einen Kilometer lang sein. Schofield konnte nicht annähernd erraten, wie groß er unter der Oberfläche war.
Von der Form her war er grob rechteckig mit einer gewaltigen weißen Spitze am einen Ende. Der Rest des Eisbergs war ungleichmäßig und von Kratern zerfurcht. Er wirkte auf Schofield wie eine geisterhaft weiße Mondlandschaft.
Schofield stand auf.
»Wohin wollen Sie?«, fragte Renshaw, der liegen blieb. »Sie gehen nach Hause?«
»Wir sollten in Bewegung bleiben«, meinte Schofield. »Uns so lange warm halten, wie wir können, und während wir schon dabei sind, sollten wir auch herausbekommen, ob nicht eine Möglichkeit besteht, zur Küste zurückzukommen.«
Renshaw schüttelte den Kopf, stand widerstrebend auf und folgte Schofield hinaus über die unebene Oberfläche des Eisbergs.
Fast zwanzig Minuten lang stapften sie dahin, ehe sie bemerkten, dass sie in die falsche Richtung gingen.
Der Eisberg hörte abrupt auf, und sie sahen nichts weiter als das Meer, das sich nach Westen hin erstreckte. Der nächstgelegene Eisberg in dieser Richtung war über drei Kilometer entfernt. Schofield hatte gehofft, dass sie vielleicht von einem Eisberg zum anderen zurück zur Küste springen könnten. In dieser Richtung würde daraus jedoch nichts werden.
Sie kehrten den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Sie kamen sehr langsam voran. Um Renshaws Brauen und Lippen bildete sich Eis.
»Verstehen Sie was von Eisbergen?« fragte Schofield beim Gehen.
»Ein wenig.«
»Klären Sie mich auf!«
»Ich habe einmal in einer Zeitschrift gelesen«, sagte Renshaw, »dass der neueste Trend bei Arschlöchern mit zu viel Geld das ›Eisberg-Climbing‹ ist. Offenbar ist es unter Bergsteigern ziemlich populär. Das einzige Problem besteht darin, dass dein Eisberg am Ende schmilzt.«
»Ich hatte an etwas Wissenschaftlicheres gedacht«, meinte Schofield. »Wie zum Beispiel, ob sie je zur Küste zurücktreiben.«
»Nein«, erwiderte Renshaw. »Das Eis in der Antarktis bewegt sich von der Mitte nach außen. Nicht anders herum. Eisberge wie dieser hier brechen von den Eisschelfs an der Küste ab. Deswegen sind die Klippen so glatt. Das Eis, das über dem Ozean hängt, wird zu schwer und bricht einfach ab und wird...« Renshaw winkte mit der Hand auf den Eisberg rings um sie her »... ein Eisberg.«
»M-hm«, sagte Schofield, während er über das Eis stapfte.
»Es gibt jedoch ein paar richtig Große. Echt Große. Eisberge, die größer als ganze Länder sind. Ich meine, Teufel, nehmen Sie dieses Schätzchen hier. Sehen Sie mal, wie groß es ist. Die meisten großen Eisberge leben etwa zehn oder zwölf Jahre, ehe sie endgültig schmelzen und sterben. Aber unter den richtigen Wetterbedingungen - und wenn der Eisberg gleich von vornherein groß genug war - kann ein Eisberg wie dieser hier bis zu dreißig Jahren um die Antarktis treiben.«
»Prächtig«, meinte Schofield trocken.
Sie erreichten die Stelle, wo Renshaw Schofield aus dem Wasser gezogen hatte, nachdem Schofield das französische Unterseeboot zerstört hatte.
»Hübsch«, sagte Renshaw. »Vierzig Minuten zu Fuß unterwegs, und wir sind wieder da, wo wir losgegangen sind.«
Sie gingen einen kleinen Abhang hinauf und erreichten die Stelle, wo das Torpedo des französischen Unterseeboots den Eisberg getroffen hatte.
Es sah aus, als ob ein Riese einen mächtigen Happen aus der Seite des Eisbergs herausgebissen hätte.
Der große Eisrutsch, der unter der Wucht der Explosion einfach davongefallen war, hatte ein riesiges, halbkreisförmiges Loch in der Seite des Eisbergs zurückgelassen. Glatte, lotrechte Wände erstreckten sich bis zum Wasser zehn Meter weiter unten hinab.
Schofield blickte in das Loch hinab, sah das ruhige Wasser gegen den Rand des gewaltigen Eisbergs plätschern.
»Wir werden hier draußen sterben, nicht wahr?«, fragte Renshaw von hinten.
»Ich nicht.«
»Sie nicht?«
»Das ist meine Station, und ich werde sie
zurückbekommen.«
»M-hm.« Renshaw blickte übers Meer hinaus. »Und haben Sie irgendeine Vorstellung davon, wie Sie das genau anstellen werden?«
Schofield gab ihm keine Antwort.
Renshaw drehte sich um. »Ich habe gefragt, wie in Gottes Namen wollen Sie es anstellen, Ihre Station zurückzubekommen, wenn wir hier draußen feststecken?«